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01.01.70 –
Wer hat hier eigentlich das Defizit? Der Mensch, der die Gebärdensprache beherrscht? Oder diejenigen, die ihn nicht verstehen? Diese Vielen mit dem Defizit stellen allerdings die Behinderung dar für denjenigen, der unverstanden bleibt.
An diesem Beispiel wird deutlich: Behinderung ist kein persönliches Defizit, sondern die Folge gesellschaftlicher Hindernisse. Einfacher gesagt: „Behindert i s t man nicht, behindert w i r d man.“
Auf dieses Verständnis, das den Menschenrechten für Behinderte zugrunde liegt, und auf seine Auswirkungen machte die Auftaktveranstaltung der Frauenaktionswochen in Höxter aufmerksam. Markus Kurth, Sprecher für Behindertenpolitik der GRÜNEN im Bundestag und Referent des Abends, leitet daraus eine Fülle politischer Forderungen ab.
„Die Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderung ist für alle staatlichen Ebenen verpflichtend“, erklärt Markus Kurth. Zu diesen menschenrechtlich verbrieften Ansprüchen gehöre beispielsweise das Recht auf Zugang zu Bildung, das in den kommenden Jahren durch den Inklusionsprozess umgesetzt werden soll, sowie das Recht auf eine barrierefrei zugängliche Umwelt.
„Schon diese beiden Aspekte, für die inzwischen das öffentliche Bewusstsein zunimmt, zeigen, wie groß die gesellschaftliche Aufgabe ist. Die Aufgabe, Selbstbestimmung, Teilhabe und Gleichberechtigung der behinderten Menschen zu verwirklichen.“ Gleichwohl macht Markus Kurth deutlich, dass er nicht bereit ist, Ausreden für mangelndes Engagement zur Durchsetzung dieser Rechte zu akzeptieren. In diesem Selbstverständnis scheut er auch nicht davor zurück, gleich das ganze deutsche Sozialrecht einer Generalrevision zu unterziehen.
„Derzeit ist es in unserem gegliederten System der sozialen Sicherung ja so, dass man sagen muss: am besten, Sie haben einen Arbeitsunfall. Schlecht ist, wenn Sie von Geburt an eine Behinderung haben. Am schlimmsten dran sind Jugendliche, die eine Behinderung bekommen und in keine Schablone passen“, kritisiert der Sozialpolitiker der GRÜNEN.
Dementsprechend fordert er: „Die zersplitterten Leistungsansprüche müssen zusammen gefasst werden. Es muss vom Ziel her gedacht werden, also von den Rechten des jeweiligen Menschen, und da ist es dann egal, wo eine Beeinträchtigung herrührt.“ Von einer entsprechenden Umstrukturierung des Sozialsystems verspreche er sich zudem eine deutlich höhere Effizienz und die Vermeidung erheblicher Reibungsverluste.
Großen Handlungsbedarf sieht Markus Kurth auch bei der Umsetzung des Rechts auf den Zugang zur Arbeitswelt, wozu er das Ziel eines einzigen Arbeitsmarktes formuliert, bei dem gleichberechtigten Zugang zur Gesundheitsversorgung mit entsprechender Vergütung des Mehraufwandes sowie bei dem Recht auf unabhängige Lebensführung, also bei der Überwindung der Heimunterbringung aufgrund des Mehrkostenvorbehalts.
Dass Fortschritte möglich sind, erläutert Markus Kurth am Beispiel der leichten Sprache. Das erste Wahlprogramm zur Bundestagswahl in leicht verständlicher Sprache ließ der Bundestagsabgeordnete noch auf eigene Kosten erstellen. Die Nachfrage entwickelte sich so gut, dass mittlerweile alle im Bundestag vertretenen Parteien entsprechende Angebote machen. Der Nutzerkreis geht über die reine Zielgruppe deutlich hinaus. „Wenn das Wahlprogramm leichter verständlich ist, profitieren alle davon“, erläutert Markus Kurth. „Und so ist das auch mit allen anderen beseitigten Barrieren.“ Allein eine einzige Stufe im Geschäftseingang bedeute Umsatzeinbußen in Höhe von 8%, zieht er ein anderes Beispiel heran.
Und so ist er optimistisch, was die Umsetzung der Menschenrechtskonvention angeht. Neben den geschilderten gesetzlichen Vorgaben setzt er auch auf das Eigeninteresse etwa von Geschäftsleuten und Kommunen: „Barrierefreiheit ist ein echter Vorteil. Ihn nicht zu nutzen, ist einfach dumm. Diese Erkenntnis entfaltet ihre eigene Dynamik“, beobachtet der Fachpolitiker.
Die biblische Dimension des Themas griffen Brigitte Piepenbreier und Siegfried Dobel von der Behindertenarbeitsgemeinschaft im Kreis Soest in ihrem Lied von der Solidargemeinschaft auf. Sie erinnerten die Gesellschaft an ihre menschenrechtliche Verpflichtung, Behinderungen zu beseitigen, mit der alttestamentarischen Verheißung: „Lahme gehen, Blinde sehen.“
07.03.2013
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